Zehn häufige Irrtümer im Erbrecht (Teil I)

Aus langjähriger Erfahrung in der erbrechtlichen Praxis wissen wir, dass die Beteiligten – der Erblasser und die Erben – häufig erheblichen Fehlvorstellungen bezüglich der Erbfolge unterliegen. Diese Irrtümer halten sich hartnäckig in weiteren Kreisen der Bevölkerung. Leider wiegen diese Fehleinschätzungen oft schwer und können bei den Betroffenen großen Schaden anrichten. Dies muss nicht sein, können diese Irrtümer doch leicht vermieden werden. Der nachfolgende Beitrag will Abhilfe schaffen und auf zehn häufige Irrtümer aufmerksam machen.

Irrtum 1: Mit rechtskräftiger Ehescheidung ist der frühere Ehepartner erbrechtlich ausgeschaltet!?

Nicht immer – Denn auch der geschiedene Ehegatte kann über das gemeinsame Kind unter Umständen noch auf das Vermögen des Erblassers zugreifen.

Beispiel: Nach zehn Jahren lassen sich die Eheleute F und L scheiden. Aus der Ehe ist das (gemeinsame) Kind S hervorgegangen. Kurze Zeit später stirbt F. Er wird alleine von S beerbt. Verstirbt danach auch der S, wird möglicherweise die L Alleinerbe des gemeinsamen Kindes S. L erhält dann auch den gesamten Nachlass des Erblassers F, obwohl diese nicht mehr verheiratet sind.

Abhilfe kann hier das sogenannte Geschiedenentestament schaffen.

Irrtum 2: Meine Ehepartner erbt automatisch alles, wenn ich einmal sterbe!?

Nein – Wurde keine letztwillige Verfügung (Testament oder Erbvertrag) errichtet, gilt die gesetzliche Erbfolge. Sofern Kinder vorhanden sind, erben der überlebende Ehegatte und die Kinder gemeinsam. Dies führt zu einer Erbengemeinschaft, in der sich die Beteiligten im Hinblick auf Verwaltung, Verwertung und Aufteilung des geerbten Vermögens verständigen müssen. Dies kann zu Problemen führen, wie das folgende Beispiel zeigt:

Beispiel: Der Weinhändler W ist in zweiter Ehe mit der L verheiratet. Die beiden leben in einem Einfamilienhaus außerhalb der Stadt am Waldrand. W hat aus seiner ersten Ehe die Tochter T mitgebracht. T, welche die Trennung ihrer Eltern nicht überwunden hat, ist mit der neuen Ehefrau seines Vaters, der L, ganz und gar nicht einverstanden. W verstirbt überraschend an einem Herzinfarkt, ohne ein Testament hinterlassen zu haben. Da W keine letztwillige Verfügung aufgesetzt hat, führt dies nun dazu, dass zwischen L und T eine Erbengemeinschaft entsteht. Da L weiterhin in ihrem schönen Haus am Waldrand wohnen will, muss sie sich nun mit T einigen. Ob aufgrund der Vorgeschichte zwischen L und T eine gütliche Einigung erzielt werden kann, mag bezweifelt werden …

Bestehen zwischen den Beteiligten – wie im Beispielsfall – Meinungsverschiedenheiten über die Aufteilung des Nachlasses, führt dies in den meisten Fällen zu erbrechtlichen Streitigkeiten. Oft bleibt dann nur noch die Zwangsversteigerung, um die Aufteilung des gemeinsamen Vermögens zu bewirken. Dies führt in den meisten Fällen zur Zerschlagung von Vermögen.

Sind aus der Ehe keine Kinder hervorgegangen, erbt der überlebende Ehegatte gegebenenfalls gemeinsam mit Eltern oder Großeltern. Erst wenn Kinder nicht vorhanden sind, Eltern und Großeltern vorverstorben sind, kann der überlebende Ehegatte die ganze Erbschaft erhalten.

Irrtum 3: Meinen Geschwistern steht im Falle meines Todes ein Pflichtteilsrecht zu!?

Nein – Der Kreis der Pflichtteilsberechtigten ist beschränkt auf die nächsten Angehörigen des Verstorbenen. Zu den Pflichtteilsberechtigten gehören daher abschließend: die Abkömmlinge des Erblassers, seine Eltern und sein Ehepartner.

Irrtum 4: Das Pflichtteilsrecht kann ich dadurch umgehen, dass ich mein Vermögen zu Lebzeiten übertrage!?

Regelmäßig nicht.

Beispiel: L hat zwei Kinder: S und T. Das Verhältnis zwischen L und S ist erheblich gestört. Denn L ist mit dem Lebensstil des S – er ist arbeits- und mittelos – nicht einverstanden. L beschließt daher, ihre beiden Mietshäuser zu Lebzeiten auf T zu übertragen und die T als Alleinerbin einzusetzen. Da L die Einnahmen aus den Mietshäusern für ihre Altersversorgung benötigt, lässt sie sich an den beiden Mietobjekten einen Nießbrauch bestellen, sodass ihr die Einnahmen zufließen.

Als L verstirbt, macht S seinen Pflichtteil gegenüber seiner Schwester, der Alleinerbin T, geltend. Die Schenkungen der L an die T zu Lebzeiten ändert nichts daran, dass sich das Pflichtteilsrecht auch in vollem Umfang auf die Mietobjekte erstreckt. Man spricht in diesem Zusammenhang von dem sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch. Da sich L den Nießbrauch an den Mietobjekten vorbehalten hat, fängt die Zehn-Jahres-Frist nicht an zu laufen.

siehe zum Pflichtteilsergänzungsanspruch: https://www.erbrecht-saar.de/was-bedeutet-eigentlich-pflichtteilsergaenzung/

Es gibt jedoch Möglichkeiten, wie sich das Pflichtteilsrecht einer „ungeliebten“ Person reduzieren bzw. sogar ganz ausschalten lässt. Planung und der Faktor „Zeit“ spielen hierbei eine wichtige Rolle.

Irrtum 5: Ich brauche keine letztwillige Verfügung (Testament oder Erbvertrag), denn die gesetzlichen Regelungen garantieren eine reibungslose und gerechte Verteilung des Vermögens innerhalb der Familie!?

Nein.

Ein privatschriftliches oder notarielles Testament ist in den allermeisten Fällen notwendig, damit die Erblasseranordnungen und –wünsche beim Erbfall berücksichtigt und rechtsverbindlich umgesetzt werden. Die Vorschriften über die gesetzliche Erbfolge sind allgemein sowie typisierend und damit im Einzelfall regelmäßig unzureichend. Ein Testament bzw. Erbvertrag können sie daher nicht ersetzen. Zudem führt die gesetzliche Erbfolge – wie bereits weiter oben aufgezeigt (Irrtum 2) – dazu, dass eine konfliktorientierte Erbengemeinschaft zwischen den gesetzlichen Erben entsteht. Bei einer Familie mit Kindern entsteht beispielsweise zwischen Mutter und Kindern eine Erbengemeinschaft, wenn der Vater vorverstirbt und keine Regelung getroffen hat.