Kein Anspruch auf vorzeitiges Erbe

Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass man von seinen Eltern bereits zu deren Lebzeiten vorzeitig sein Erbe zu beanspruchen könne. Einen solchen Anspruch kennt das deutsche Erbrecht nicht. Vorzeitig kann man allenfalls durch freiwillige Leistungen des Elternteils bedacht werden.Die Ausgangslage in meinen Beratungen in diesen Punkten ist meistens ähnlich: Der Vater oder die Mutter hat plötzlich einen neuen Lebenspartner oder man erfährt, dass eines der Geschwister das Haus der Eltern übertragen bekommen soll. Die Gründe, die bei einem Kind die Besorgnis wachsen lassen, um das spätere Erbe der Eltern gebracht zu werden, sind vielfältig.

Mir gegenüber wird dann häufig die Frage geäußert, ob man verlangen kann, dass man bereits zu diesem Zeitpunkt am Vermögen der Eltern beteiligt wird oder beispielsweise eine Ausgleichszahlung verlangen kann, wenn Vermögen der Eltern an eines der Geschwister übertragen wird.

Leider muss ich meine Mandantin diesen Punkt regelmäßig enttäuschen. Einen einklagbaren Anspruch hat man nicht.

Grundsätzlich kann jeder, also auch die eigenen Eltern, zu seinen Lebzeiten mit seinem Vermögen verfahren wie er will. Es gibt keine Verpflichtung, das Vermögen für die späteren Erben zu erhalten, was schon zu mancher Enttäuschung bei den Erben nach dem Todesfall geführt hat. Es gibt auch keine Verpflichtung, Vermögen gleichmäßig zu Lebzeiten an Kinder zu übertragen.

Selbstverständlich ist es sinnvoll, Vermögensübertragungen an einzelne Kinder transparent zu gestalten, um bei den anderen Kindern keinen unnötigen Argwohn entstehen zu lassen. In diesen Gestaltungsvarianten bin ich ein großer Befürworter größtmöglicher Kommunikation gegenüber den Kindern. Dies führt meist dazu, das zu Lebzeiten eine sachgerechte Übertragung erfolgt und bei einer schlauen vertraglichen Gestaltung vermieden werden kann, dass es nach dem Tod zu Streitigkeiten unter den Kindern kommt.

Allerdings gibt es durch aus Konstellationen, bei denen es aus Sicht der Eltern sinnvoll ist, vorzeitig Vermögen zu übertragen. Überträgt man zum Beispiel an das Kind Vermögen, damit im Gegenzug das Kind auf sämtliche erbrechtlichen, auch pflichtteilsrechtlichen Ansprüche nach dem Tod verzichtet, ist damit das Kind für den Todesfall erbrechtlich komplett abgefunden. Der spätere Erbe muss also nicht mehr damit rechnen, dass nach dem Tod dieses Kind noch einmal Ansprüche gegen den Nachlass richten kann.

Bei diesen Verzichtsgestaltungen muss man jedoch wissen, dass Gerichte unter Umständen solche Vereinbarungen im Nachhinein als sittenwidrig und damit nichtig erklären können. Wie zum Beispiel im nachfolgenden Fall:

Der Sohn, der die Schule abgebrochen und nun eine Ausbildung zum Zahntechniker begonnen hatte, fand großen Gefallen an dem vom Vater neu erworbenen 100.000,00 € teuren Sportwagen. Wenige Tage nach dem 18. Geburtstag des Sohnes fuhren beide zu einem Notar und beurkundeten einen umfassenden Erb- und Pflichtteilsverzicht des Sohnes beim Tode des Vaters. Zur Abfindung sollte der Sohn nach Vollendung des 25. Lebensjahres den Sportwagen erhalten, aber nur, wenn er bis dorthin die Ausbildung zum Zahntechnikermeister mit sehr gutem Ergebnis abgeschlossen haben sollte. Kurz später bereute der Sohn seine Unterschrift, brach die Ausbildung ab und zog vor Gericht. Das OLG Hamm hat ihm mit Urteil vom 08.11.2016 Recht gegeben: Der umfassende Erb- und Pflichtteilsverzicht sei sittenwidrig und damit nichtig. Der Vater habe die Unerfahrenheit des Sohnes in unakzeptabler Weise ausgenutzt. Denn der Erbverzicht sei als sofort wirksam und ohne Bedingung vereinbart worden.

Sie sehen: auf die Spitze treiben sollte man es also auch nicht.